Lieber Thomas,
mit dem Glück das ist schon so eine mystische Sache. Gerade heute Morgen gehe ich aus der Küche ins Bad, stehe vor dem Spiegel, weil ich mir das Gesicht eincremen wollte und eine Welle des Glücks steigt in mir auf und überflutet mich überweltigend, dass mir die Tränen vor Glück kommen. Ich war einfach nur glücklich und sprachlos darin. Doch im Grunde ist gar nichts Besonderes da, was mich glücklich macht. Ich bin nicht mal in irgendwen verliebt oder so. Es ist auch nichts da, worauf ich in freudiger Erwartung bin. Ich habe nicht mal Hoffnung auf irgendetwas. Es ist nichts! Trotzdem, in mir fluten Glück, Dankbarkeit, Freude, einfach Liebe! Das Sagenhafte ist, dass ich in diesem Zustand nicht unterscheiden kann, wessen Glück und wessen Dankbarkeit und wessen Freude ich empfinde, denn gleichzeitig zu meinen Empfindungen habe ich das Gefühl, es sind die Empfindungen des ganzen Universums und dass das Universum mir dankbar ist, sich über mich freut und seine Segnungen dafür immer wieder über mich ergießt.
Doch das Glück ist eben einfach da, wenn man keine Angst hat; und wenn man nichts zu verlieren hat, hat man auch keine Angst. Das hat natürlich nicht unbedingt was damit zu tun, ob man viel oder wenig hat. Mancher hat gar nichts und denkt trotzdem, er hätte was, das er verlieren könnte. Man kann auch viel besitzen und ohne Angst sein, weil man sich nicht abhängig von seinem Besitz fühlt, auch nicht daran klammert, seine Existenz nicht daran bindet und sich nicht um die Zukunft sorgt, weil der Augenblick führend und erfüllend ist. Der Besitz wurde auch nicht erworben des Besitzes wegen, weil man ihn braucht und man redet sich auch nicht ein, dass der Besitz einen braucht. Der Besitz war nicht das Ziel, um ein anderes Ziel zu erreichen. Es findet somit einfach keine Identifikation mit dem Besitz statt nach dem Motto: „Wenn ich viel habe, dann bin ich viel wert und ich bin sicher. Besitz macht mich sicher!“ Doch man ist in der Lage, sich damit wirkliche Freude zu machen, ohne dabei den Blick für das Wesentliche zu verlieren, man bleibt und fühlt sich mit seinem Wesen verbunden, man fühlt sich verbunden mit allem, was ist und das wertfrei. Doch oft ist es so, dass die Besitzenden sehr viel Angst haben, weil es schon die Angst war, die sie dazu getrieben, sich Besitz anzuschaffen, um sich sicher zu fühlen, um sich anerkannt zu fühlen, um sich einen Wert zu geben. Sie neigen dazu, alles zu ihrem Besitz zu machen, ob es wirkliche Dinge, Sachgegenstände, Tiere oder Menschen sind. Alles sind Anschaffungen, die einem bestimmten Zweck dienen. Es zählt, ob sie das gekauft, geschenkt bekommen, geerbt oder dergleichen haben oder auch, ob ihnen Macht über etwas verliehen wurde und wenn es durch Gedankenmuster oder irgendwelche Prägungen sind, doch durch irgendeine Form zu ihrem Besitz wurde und sie es als solches sehen und darin ihren Halt glauben zu finden. Arbeitgeber sehen sich auch oft als Besitzer der Arbeitnehmer, besonders der unterentwickelten Länder, doch auch hier. Eheleute sehen den anderen oft als Besitz an, besonders, wenn sie den mittellosen Partner versorgen und manche bevorzugen deshalb auch mittellose Menschen als Partner. Dann können sie immer sagen: "Alles meine!" und dies verleiht ihnen eine gewisse Überlegenheit, glauben sie. Alles, was sie besitzen, verschafft ihnen Befriedigung und Wertgefühl. Sie können auch nicht bedingungslos geben. Im Hinterkopf ist immer die Kalkulation, was für ihn dabei herausspringt, was nicht unbedingt materieller Natur sein muss. Bewunderung und ein Aufblicken zu ihnen ist schon Befriedigung und mehr wert, als sich auf Augenhöhe zu begegnen. Doch genau deshalb bleibt das wahre sich erfüllt fühlen aus, denn Gott ist nur auf Augenhöhe zu finden. Er ist nicht über jemanden und nicht unter jemanden. Gott will nicht, dass sich jemand kleiner als er selbst fühlt und auch nicht, dass er andere über ihn stellt.
Doch, solange man sich nicht mit seinem eigenen Wesen verbunden fühlt, dem Ort, worin die Göttlichkeit verankert ist, der Kontakt fehlt, wird die Kompensation gesucht und gelebt. Da zählt das Haben und nicht das Sein! Es zählt: arm oder reich! Es zählt Macht oder Ohnmacht. Es zählt, ich oder Du?. Auf jeden Fall zählt immer irgendetwas. So kann Besitzverlust oder allein die Bedrohung seines Besitzes, Todesangst auslösen, obwohl in keiner Weise Lebensgefahr besteht. Diese Todesangst kann genauso wie die Liebe den Verstand ausschalten. Doch es besteht ein Unterschied, wenn der Verstand durch die Liebe ausgeschaltet wird, fühlt man sich erfüllt und dankbar, frei, sicher und kann geben, von Herzen alles geben und fließen lassen. Man fließt einfach selbst. Man fühlt sich zeitlos und ungebunden, grenzenlos in seinem Liebesstrom. Da ist nichts da, was festhalten will, was Gewinn aus etwas schlagen will, was kalkuliert, vergleicht und so eine Enge schafft.
In der Liebe kann man mit jeder Situation umgehen, weil man sie zulassen kann in vollem Umfang, ob es das höchste Glück ist oder die Trauer um etwas. Man geht auf in jedem Gefühl und lässt zu, was geschehen will, weil im Zustand der Liebe die Hingabe dominiert. Jedes Gefühl ist von Liebe durchdrungen. Auch sogenannten Gefahrensituationen kann man sich stellen, ohne sich als kämpfend für oder um etwas zu erleben. Man fließt einfach in Harmonie mit dem was ist. Es findet ein Geschehen statt, dass man einfach zulässt und man weiß, dass das, was geschieht weit über den Verstand hinaus geht und dabei vielleicht etwas in Ordnung bringen will, in die Harmonie, was zuvor vielleicht nur eine Scheinharmonie war, vom Verstand vorgegaukelt und kreiert.
Bei der Ausschaltung des Verstandes durch Angst ist, da hat nicht mal mehr die Angst noch Platz, um wahrgenommen zu werden, sondern es geht nur noch um Leben oder Tod und dafür wird alles nieder gemacht so gut es geht, um das zu vernichten, was als lebensbedrohlich empfunden wird. Man ist dann praktisch unter den Verstand gefallen und nicht wie in der wahrhaften Liebe über ihn hinausgegangen. Genau wie in der Liebe fühlt man sich jenseits von Gut und Böse nur mit dem Unterschied, dass Böses geschieht. So kann ich mir auch vorstellen, dass gerade im Hitlerfaschismus und natürlich auch anderen Kriegssituationen, friedliche und liebe und mitfühlende Menschen zu den schlimmsten Verbrechen fähig wurden. Frauen und Männer ließen sich plötzlich von ihren jüdischen Partnern scheiden und sahen zu, wie diese mitsamt ihrer Kinder ins KZ transportiert wurden. Sie wurden zu Mördern, um sich durch das System geschützt zu fühlen und nicht von ihm zu Tode verurteilt zu werden. Die Angst konnten sie nicht gebrauchen in dem Moment, wenn sie die Waffe in der Hand hielten und auf andere Menschen schossen. Die Angst hätte gestört, wenn sie jemanden unter Folter verhören.
Die Angst musste ausgeschaltet werden, um diesen Schmerz auszuhalten, der sie ansonsten vielleicht lieber zum Selbstmörder gemacht hätte, statt diesen Forderungen zu folgen oder dem System Folge zu leisten oder sogar Gefallen daran zu finden. Sie spürten keine Gefühle wie Mitgefühl mehr und konnten immer grausamer werden und folterten und töteten und missbrauchten, vielleicht nur, um sich wieder Gefühle der Befriedigung und Macht zu verschaffen. Wie waren diese unzähligen Vergewaltigungen möglich von ganz „normalen“ Männern? Wie konnten Frauen, die ihre Familien hüteten als KZ Wärter zu grausamen bestialischen Bestien werden? Der Verstand ist im Grunde ein neutrales Instrument und unser Zustand entscheidet, wofür er benutzt wird oder ob er als Herrscher fungiert. Er ist ein hochentwickeltes Werkzeug. Die Liebe! Wenn durch die Liebe der Verstand ausgeschaltet wird, ist man nur noch Hingabe und ist unfähig, für das eigene Leben jemanden anderen zu verraten oder zu töten. Man sucht keine Sicherheit, man fühlt sie. Man hat keine Angst vor dem Tod, denn der existiert nicht. Man sieht einfach kein Problem und deshalb muss nichts gelöst werden. Alles ist zusammen da, immer in einem Päckchen zusammen. Keine Frage taucht ohne die Antwort im Gepäck auf. Keine Handlung erwartet ein Ergebnis. Es ist einfach der Fluss der sich schlängelt und das eine ergibt das andere. Deshalb ist die absolute Präsens im Augenblick der beste und harmonischste Weg zum nächsten Augenblick.
Das Leben findet jetzt statt und alles was geschieht, verleiht ein tiefes inneres Wohlbefinden. Alles ist klar und eindeutig und man fühlt sich einfach sicher und gut und fühlt auch das Band der Liebe zu allem was ist. Da gibt es nichts von dem oder das man sich bedroht fühlt, unabhängig von der Situation. Schaltet die Angst den Verstand aus, dann ist man fähig, so schlimme Dinge unkontrolliert zu tun, die im Zustand von Liebe nie möglich wären. Es geht dann ja auch um Leben und Tod! Die Liebe befreit alles Eingeschlossene und die Angst schließt alles ein. Die Liebe löst jedes Problem, so wie die Sonne das Eis schmilzt und die Angst schafft Probleme, wie die Axt das Eis nur zerstören kann, doch nicht schmelzen. Durch die Liebe gewinnt man Energie und Kraft und durch die Angst verliert man Energie und sie schwächt. Es gibt, wie schon erwähnt, natürlich auch die Reichen, die nicht tun und schaffen, damit sie zu Besitz kommen, bzw. ihn als Machtinstrument nutzen und um Kontrolle auszuüben. Sie identifizieren sich nicht damit und verlieren dadurch nicht den Blick und die Wachheit für das Wesentliche. Im Gegenteil, sie leben aus der Verbundenheit mit ihrem Wesen.
Sie tun das, was ihnen Freude macht, ihrer Berufung, ihren Herzenswünschen entspricht. Sie werden auch mit ihrem Besitz, mit ihrem Geld ganz anders umgehen. Sie sind in der Lage, Freude zu empfinden und das wahre Schöne mit alles Sinnen. Sie geben es genauso gerne dafür aus, um sich und anderen Freude zu machen, wie auch ihr ganzes Tun Freude ist. Es ist für sie kein Statussymbol, sondern nützlich für die Erfüllung gegenwärtiger Bedürfnisse. Das Leben empfinden sie als Freude und nicht als Zwang. Das Geld ist dann einfach da als angenehme Begleiterscheinung, doch sie richten ihr Tun nicht darauf freudlos aus in der Hoffnung, je mehr sie haben, desto glücklicher und zufriedener werden sie sein. Es geht auch nicht um die Vermehrung des Besitzes. Vordergründig werden immer die zwischenmenschlichen Beziehungen sein und die Harmonie und darauf wird sich ausgerichtet. Es findet keine Unterwerfung unter den Besitz statt. Das Anliegen besteht nicht darin, Sicherheiten zu schaffen, sich Macht zu verschaffen, sich Anerkennung zu verschaffen, sich Bedeutung zu verleihen. Sie leben das, was sie wahrhaftig sind. Diese Leute findet man dann oft im Bereich der Kunst oder des Sportes, die ihre Leidenschaft für etwas entdeckt haben und sich dem dann hingeben und manachmal als Begleiterscheinung zu Reichtum kommen. Manchmal allerding nur. Doch jeder Beruf kann schöpferisch gestaltet werden, wenn es das ist, was der eigenen Berufung entspricht und damit fühlt man sich auch innerlich reich, zufrieden und glücklich, einfach gesegnet. Ein wahrhaft schöpferischer Mensch kann nicht geizig sein, denn im Geiz erstickt alles. Es zeugt von innerer Armut und wer sich innerlich arm fühlt, wird zwanghaft versuchen, Reichtum zu schaffen, doch selbst, wenn er zu materiellen Reichtum auf diese Weise gekommen ist, wird er keine Freude und Erfüllung damit finden und mehr und mehr wollen, es festhalten wollen und damit vielleicht mehr und mehr verlieren. Es gibt Menschen, die haben sehr wenig Geld, leben von der Hand in den Mund und am Monatsende die letzten Tage, bevor der nächste beginnt sieht es dünne aus und trotzdem strahlen sie Zufriedenheit und einen unergründlichen Reichtum und Liebe aus. Manchmal trifft man so einen Menschen, der genau das ausstrahlt, ob arm oder reich, manchmal! Auf jeden Fall sind dann beide mit innerem Reichtum gesegnet!
Herzliche Grüße Malina
Die Liebe kam und machte mich leer.
Die Liebe kam und erfüllte mich mit dem Geliebten.
Sie wurde zu Blut in meinem Körper.
Sie wurde zu meinen Armen und Beinen
Sie wurde zu allem!
Alles was ich nun noch habe, ist ein Name.
Der Rest gehört meinem Geliebten.
Rumi (aus Gedicht "Süße Lippen")
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"Liebe schärft die Intelligenz, Angst stumpft sie ab."
Osho
"Individuell zu sein impliziert das Risiko, nicht anerkannt zu werden."
Peter Lauster "Stärkung des Ich"
"Wenn du sehen willst, lass Liebe in der Pupille deines Auges sein."
Mikhail Naimy "Das Buch des Mirdad"
"Du mußt Dich dem Geheimnis beugen. Mit der Liebe betrittst Du die ganz andere Dimension des Lebens, die absolute Freiheit, die nur in völliger Losgelöstheit existieren, brennen und leuchten kann. Freiheit ist nicht machbar; sie ist ein Fallenlassen, ist ein Vertrauen ohne jegliches Mißtrauen. Sie ist das Fallen, auch in die Tiefen des Unglücks. Aus dieser Tiefe steigt dann mitunter - nicht immer, nicht vorhersehbar und planbar - ein unerwartetes Glück." S.36
Peter Lauster "Liebeskummer als Weg der Reifung"
„Was wirklich ist, lässt sich mit dem Kopf nicht erkennen; dafür muss man den Verstand beiseite tun.“ S.25 Osho „Das Blaue Meditationsbuch“ Goldmann Verlag
„…wenn du vollkommen aufnahmebereit bist, hört das Ego auf zu sein. Jetzt bist du ein leerer Tempel, in dem niemand wohnt.“ S.21
Osho "Die höchste Einsicht"
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