Wertschätzung (14.Brief an Marie) 

 

 

Liebe Marie,

da Du gerne meine Briefe liest, habe ich hier heute gleich einen Weiteren. Es geht um das Thema Wertschätzung zu dem ich Dir einiges schreiben werde.

Das Thema entstand aus einem Gespräch mit einer Bekannten. 

Meine gegenwärtigen Umstände sind so, dass ich mich von vielen Dingen entledigen musste aufgrund eines Umzuges, der im letzten Jahr stattfand. 

Ich hatte einen Stellplatz für vieles, was ich im Augenblick nicht benötigte und auch nicht stellen kann, wie auch unter anderem meine Bilder und Atelierausstattung. Ich löste es auf.

Ich bekam nun einen sehr kurzfristigen Räumungstermin gesetzt. 

Wenn etwas kurzfristig passieren muss, hat man auch nicht viel Zeit, Verkaufsaktionen für etwas zu starten, sondern neigt dazu, vieles zu verschenken, damit es schnell geht. 

In diesem Gespräch mit der Bekannten kamen wir auf ein Möbelstück, das ich zum Verschenken angeboten hatte. In diesem Gespräch sagte die Bekannte zu mir, dass sie es nicht verschenken würde, sondern verkaufen, denn das hätte was mit Wertschätzung zu tun.

Ich sagte dazu in diesem Moment nichts, sondern lies die Aussage erst einmal so stehen.

Doch ich fühlte später dann mal so in mich hinein, denn mir kam schon während des Gesprächs der Gedanke angeflogen, dass es doch nicht Wertschätzung sein kann, wenn man aus etwas Gewinn schlägt und je höher dieser vielleicht, desto höher vielleicht die Wertschätzung.

Außerdem käme der Verdacht auf, dass je wertintensiver jemand verkaufen kann, desto wertvoller sind die Dinge oder auch der Mensch, der dahinter steht. Das würde ich natürlich sehr in Frage stellen.

Zwei Tage später packte ich das Auto ziemlich voll mit Haushaltsgegenständen, Büchern und verschiedenen anderen Dingen, auch Kleinstmöbel. Diese brachte ich zu einer gemeinnützigen Einrichtung, was ich zuvor mit denen absprach. Nachdem ich dort alles abgegeben hatte und die Damen es dort wirklich mit Freude und Wertschätzung empfangen hatten, war deutlich zu erkennen, was Wertschätzung ist. Wertschätzung ist, wie ich etwas behandele, wie ich mit etwas umgehe. Wie sehe ich die Dinge. Wenn ich das kleinste einfache Trinkglas als wertvoll anerkenne und es nicht einfach wegwerfe, um es loszuwerden, sondern möchte, dass es dorthin kommt, wo es noch Nutzen hat, das es für jemanden noch nützlich sein könnte, dann bringe ich dem Glas Wertschätzung entgegen und gleichzeitig denen, die es hergestellt haben. So besteht die Chance, dass es wohin kommt, der es wertschätzt.

Nach meinem Empfinden über Wertschätzung rief ich meine Bekannte an und sprach auf ihren Anrufbeantworter, weil sie nicht da war. Diese Worte bekomme ich natürlich jetzt nicht mehr zusammen. Daraufhin rief sie mich an und sagte, dass sie mein Gesagtes sehr gut annehmen kann und ich könnte die Gedanken doch schriftlich festhalten. So schreibe ich jetzt an Dich.

Wertschätzung ohne Liebe ist nicht möglich. Wertschätzung hat etwas mit Anerkennung, Zufriedenheit und Dankbarkeit zu tun. Wer in der Lage ist, wertzuschätzen, was er im jeweiligen Moment hat und gibt, lebt in Zufriedenheit, in Frieden. Je weniger wertschätzend jemand ist, desto größer wird auch seine Gier ausgeprägt sein. Er erkennt nie den wirklichen Wert von etwas, weder den von Dingen, Lebensumständen, Begegnungen, Erfahrungen. Nicht den Wert aus dem Moment heraus erkennen, bedeutet stetige Unruhe. Wertschätzung heißt nicht, etwas festhalten nach dem Motto: es ist ja so wertvoll, ich muss es unbedingt für mich behalten oder jemanden geben, der mir Anerkennung schenkt in irgendeiner Form, möglichst mit Geld. Wertschätzung bedeutet, Vertrauen in den Fluss des Lebens zu haben. Dazu gehört, anzuerkennen, dass ständig etwas in unser Leben tritt und austritt. Es fließt uns etwas zu und anderes fließt weg. 

Wertschätzung ist für mich am ehesten gelichzusetzen mit Aufmerksamkeit, etwas mit offenem Herzen begegnen, um den Wert des Augenblicks, des Geschehens darin zu erfassen.

Wenn man immer nur das wertschätzt, was man nicht hat und doch gerne hätte oder das, was im Begriff ist von einem zu gehen, ist man im Leid verstrickt. Man fühlt sich dann mehr als Opfer des Lebens, der Lebensumstände und des Geschehens.

Dankbarkeit ist höchster Ausdruck von Wertschätzung. Das Leben mit allem Drumherum als Geschenk zu betrachten, schafft Zufriedenheit.

Mangelnde Wertschätzung und Gier gehen Hand in Hand. Das Gefühl von Verlust oder sich ausgenutzt fühlen, hat immer was damit zu tun. Mangelnde Wertschätzung kommt durch mangelnde Einsicht und Erkenntnis.

Wertschätzung bedeutet, es wertzuschätzen für jemanden etwas zu tun, wenn man es aus dem Herzen fühlt und nicht Wertschätzung zu erwarten. Damit lässt man den anderen auch in Freiheit und belastet ihn nicht mit Schuld, mit Schulden, wenn auch unausgesprochen.

In dem Moment, wo ich es wertschätze , etwas zu tun, mich damit zufrieden fühle, erwarte ich keine Gegenleistung, weder jetzt noch später. Geben und Nehmen finden gleichzeitig statt, indem man sich durch das Geben erfüllt fühlt, beschenkt.

Man weiß, dass einem selbst jederzeit alles gegeben wird, was für die Seele wichtig ist für ihren Erfahrungs- und Lebensweg.

 Etwas jetzt tun, wovon man sich später etwas erhofft, führt sehr leicht zur Enttäuschung und zu einem Gefühl des Verlustes und sich ausgenutzt fühlen.

Liebe Marie, wenn Du Dir für Dein Leben eine höhere Lebensqualität wünschst bzw. für Dein inneres Erleben des Lebens mehr Zufriedenheit, Frieden, Freiheit und Liebe erfahren möchtest, dann übe Dich als erstes in Wertschätzung, in Wertschätzung dessen, was ist. Sie bedarf einzig und allein ein offenes Herz und Wachsamkeit. Dein Herz kennt immer den Wert von dem was ist, deshalb sei im Herzen. Sei! 

Ein weiteres Problem, welches mit mangelnder Wertschätzung einhergeht, ist Neid. Wo kein Wertgefühl ist, weder für sich noch für andere, wird Mangel empfunden. Mangelgefühle werden verfolgt von Neid. Dem anderen könnte es ja besser gehen, er könnte mehr haben, könnte mehr wertgeschätzt werden, könnte glücklicher sein, könnte gesünder sein. Dabei fühlt der andere sich vielleicht noch elender als Du, weil er das Gefühl hat, am wirklichen Leben vorbei gelebt zu haben. Er fühlt sich wertlos und leer, denn er hat nur dafür gelebt einem Bild gerecht zu werden, um den wirklichen Mangel nicht zu spüren. Er hat gelebt, um dem Bild gerecht zu werden, das von der Gesellschaft vorgegeben wurde, welches aussagt, was wertvoll ist und was nicht, was Wertschätzung verdient und was nicht. 

Wertschätzung bedeutet nicht, sich nach einem bestimmten Konzept zu verhalten, dass man sich zurecht gelegt hat oder eines, das dem Massenbewusstsein entspringt. Nein, es bedeutet, in jedem Augenblick dem Herzen zu folgen, Dinge zu tun oder zu lassen, wie es dem gerade entspringt.

Wertschätzung bedeutet auch anzuerkennen, dass es eine Kraft gibt, die höher ist als der Verstand und die Geschicke lenkt.

Der Verstand hat seine eigenen Regeln, was Wertschätzung verdient und was nicht, was wertvoll ist und was nicht. Dies ist immer angelehnt an gesellschaftliche Maßstäbe und diese werden auch benutzt, um sich im Recht zu fühlen.

Ich kann auch ein Pfund Gold zum Goldschmied bringen und schätzen lassen, was es wert ist. Damit weiß ich, was das Gold nach gesellschaftlichen momentanen Richtlinien wert ist, aber der wahre objektive Wert des Goldes kann dadurch nicht erkannt werden, denn der liegt jenseits von Bewertungen durch des Menschen Verstand. Wir wissen ja alle, dass dieser Wert heute so und morgen so sein kann, je nach Angebot und Nachfrage.

Dagegen kann ein Ring, der kaum oder gar keine Goldanteile enthält und auch nicht mit Diamanten besetzt ist für jemanden einen viel höheren Wert haben als ein Sack Gold.

Etwas wertschätzen heißt nicht, etwas mit irgendwelchen von außen aufgesetzten Werten zu vergleichen.

Ich schätze es vielleicht auch nicht wert, wenn mir eine Speckrolle über den Rockbund quillt, aber ich schätze es zutiefst wert, dass das mein seelisches Wohlbefinden nicht beeinträchtigt und ich vielleicht darüber lachen kann. Die Speckrolle stellt sich so nicht als leidbringendes Problem dar, sondern höchstens als freudige Herausforderung vielleicht darüber nachzudenken, dass man sich mal wieder etwas mehr bewegen könnte oder ab und zu eine Mahlzeit ausfallen lässt.

Ein Krankheit z.B. kann zu tiefen Erkenntnissen und Einsichten führen und zu sich selbst, dass darin die Wertschätzung für sich und das Leben mit seinen Geschehnissen wächst und Dinge, von denen man sich nicht lösen konnte, weil man sich damit identifizierte, seinen Wert damit identifiziert hat, plötzlich bedeutungslos geworden sind und sie leichten Herzen ziehen lassen kann.

Wertschätzung bedeutet so auch, sich weder mit Besitz, noch mit Verlust zu identifizieren, sondern in dem Geschehen den Wert zu erkennen.

Liebe Marie, Gott schenkt Dir immer die Gelegenheiten und Situationen durch die Deine Wertschätzung, dein inneren Frieden und damit dein Zustand von Liebe und erfüllt sein wachsen kann.

Einen schönen Abend

Malina

 

 

 

 

"Halte immer an der Gegenwart fest.

Jeder Zustand, ja jeder Augenblick

ist von unendlichem Wert,

denn er ist der Repräsentant

einer ganzen Ewigkeit." 

 

Johann Wolfgang von Goethe 

 

 

 

Hier geht es zum 13.Brief an Marie: "Der Tod ist..." 

Hier geht es zum 15. Brief an Marie: "Einsicht und Heilung" 

 

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