November

 

Ist unvollkommen, krank der Baum,
Weil er nun gebrechlich und verletzlich steht
Und nicht einmal nach Besseren er strebt.
Weder beginnt er, nun zu klagen,
Noch grüne Blätter will er tragen,
Weint den Gefallenen nicht nach,
Den Saft, den er verlor,
Den braucht er auch nicht mehr.
Er sehnt auch nicht zurück den Frühling,
Wo er begann zu sprießen, zu blühen
Bis hin, dass er in Duft gehüllt.

Ist unvollkommen, krank der Baum,
Weil er so da steht und lebt, als wär er tot.
Kein Wille ist, der sich in ihm regt.
Beneidet nicht die grüne Tanne,
Die prächtig neben ihn da steht,
Auch nicht den Hagebuttenstrauch,
Der verlockend mit seinen roten Früchten
Groß und Klein zu sich zieht.
Denkt nicht zurück an verflossene Tage,
Wo er geschmückt mit satter Pracht
An kein Ende hat gedacht.

 

Ist unvollkommen, krank der Baum,
Weil er nicht mal zweifelt an dem was ist,
Egal wie andere ihn sehen und erleben.
Der eine sagt, er hätte sich verändert,
Andere grübeln rum, was ist der Grund.
Sie kommen nicht damit zurecht,
Dass er nicht mehr so wie sie ihn wollen ist.
Suchen nach der Schuld und einer Lösung,
Was sie tun können, ihm zu helfen,
Weil sie nicht verstehen und nicht sehen,
Dass er vollkommen ist.

 

Ist unvollkommen krank der Baum,
Der, der in keine Richtung schaut.
Auch, wenn er aus vielen Richtungen
Von vielen wird beschaut, bewertet und gerichtet,
Soll er bleiben stehen oder wird er vernichtet. -
Ach, er ist der Schönste doch noch immer,
Noch immer ist er der Einzige,
Wo ich mich am liebsten niederlass.
Weil er mir ist vertraut, das schon ewiglich.
Pracht und Fülle in jedem Augenblick
Mit ihm erlebe ich.

 

Ist unvollkommen, krank der Baum,
Der der da steht, den täglich
Beim Spazierengehen ich besuch,
Berühre seine alte Rinde,
Lehn mich an seinen dicken Stamm,
Schau in seine Äste und was sich so
Munter auf ihnen treibt herum.
Bin dankbar und voller Freude,
Dass ich bei ihm stets willkommen bin,
Schenke ihm meine Fülle,
Damit ich leicht nach Hause gehen kann.

 

 



 

                                                                                                                                                                   Ute Malina Rößner

 

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